Warum wir eigentlich segeln

Juli 2, 2019 4 Von andi

Dieser Blog ist ja nicht nur für unsere segelnden Freunde gedacht, sondern auch für Freunde, Familie und Bekannte, die mit Segeln mal so gar nichts am Hut haben. Und neulich, als wir bei schönstem Wetter und perfektem Segelwind glückselig auf der Cockpitbank saßen und nichts zu tun hatten, außer auf das Wasser zu gucken und unseren Gedanken nachzuhängen – Frau Hansen hat das Boot gesteuert (zu Frau Hansen komme ich später noch) – kam mir der Gedanke, mal zu versuchen, den nicht segelnden Menschen zu vermitteln, was uns am Segeln so fasziniert. Alle segelnden Menschen können jetzt aufhören, zu lesen. Denn die wissen es ja schon, weil sie auch mit dem Segelvirus infiziert sind.

Jede Münze hat ja bekanntermaßen zwei Seiten. Kommen wir erst mal zur negativen Seite. Man sagt ja, Segeln sei die teuerste Art, sich unbequem fortzubewegen. Dem kann ich zunächst mal uneingeschränkt zustimmen. Teuer ist alles, was mit einem Boot zu tun hat. Egal, was es ist – sei es Ersatzteile, Pflegeprodukte oder Antibewuchsschutz (Antifouling) – es ist 5 mal teurer, als ob es für einen normalen Haushalt wäre. Anscheinend müssen wir Bootsbesitzer steinreich sein. Stimmt aber leider nicht. Unbequem stimmt auch oft. Jeder, der mal versucht hat, bei viel Schräglage und großen Wellen, auf Klo zu gehen oder Essen zuzubereiten, wird das unterstreichen. Da kommen dann auch schon mal ein paar blaue Flecken hinzu. Dann die ganze Arbeit. Im Herbst das Boot aus dem Wasser nehmen, vorher noch den Mast legen und dann das Boot winterfest machen. Im Frühjahr alles wieder auspacken, polieren und das Unterwasserschiff mit (teurem) Antifouling streichen. Da frage ich mich doch schon mal, warum ich mir den Scheiß eigentlich antue. Oder auch wenn man bei totalem Mistwetter unterwegs sein muss, weil man wieder nach Hause muss. Es ist kalt, es ist nass und man prügelt stundenlang gegen heftigen Wind an. Auch dann stellt man sich hin und wieder diese Frage. Aber…

Jetzt kommen wir zur schönen Seite des Segelns. Denn die ganze Arbeit, die Kosten und auch Schlechtwettersituationen werden mehr, als belohnt. Nehmen wir mal so eine Schlechtwettersituation, wie weiter oben beschrieben. Wie gesagt, es ist nass, es ist kalt, es ist unbequem und Du weißt, Du hast Stunden vor Dir bis zum Ziel. Da fragt man sich schon mal, warum man eigentlich nicht einfach zu Hause gemütlich auf dem Sofa sitzen kann. Es ist allerdings schon irgendwie komisch. Wenn man dann angekommen ist, das Boot liegt sicher vertäut im Hafen, vielleicht hat man auch noch eine warme Dusche genommen und sitzt nun im gemütlichen Salon und trinkt sein Anlegebier. Dann sind die ganzen Strapazen der letzen Stunden sofort komplett vergessen. Man ist sogar ein bisschen Stolz, mit den Elementen gerungen und sie bezwungen zu haben.

Aber das Schlechtwettersegeln ist ja, Gott sei Dank, eher selten. Das traumhafte Segeln überwiegt. Einer der schönsten Momente zu Beginn eines Törns ist, wenn man aus dem Hafen herausgefahren ist, die Segel setzt und den Motor aus macht. Ruhe. Totale Ruhe. Die Segel füllen sich mit Wind und das Boot nimmt Fahrt auf. Das einzige, was man dann noch hört, ist das Rauschen der Bugwelle und die gurgelnden Geräusche im Heckwasser. Und man hat auch nicht mehr viel zu tun. Hin und wieder vielleicht die Segel nachtrimmen. Oder wenn man will auch steuern. Das übernimmt bei uns die meiste Zeit Frau Hansen. Frau Hansen ist unser Autopilot. Die Technik heutzutage ist schon genial. Hier mal ein paar Eindrücke und Erklärungen zu Frau Hansen und der restlichen Technik an Bord:

Frau Hansen und der Rest der Technik…

Selbst steuern tun wir eigentlich nur bei Regatten, an der Kreuz (Kreuz bedeutet ein Zick-Zack-Kurs gegen den Wind. Da man nun mal (leider) nicht direkt gegen den Wind segeln kann, muss man diesen Zick-Zack-Kurs fahren, um ans Ziel zu kommen) oder, wenn wir einfach Lust haben, zu steuern. Das habe ich dann bei unserer Überfahrt von Byxelkrok nach Visby, bei dem das Video entstanden ist aber auch mal gemacht. Charisma war an der Grenze, was sie unter voller Besegelung noch an Wind vertragen konnte. Sie pflügte mit Höchstgeschwindigkeit durch die Ostsee und wenn man mal eine große Welle runterrutscht, die Logge (Geschwindigkeitsmesser) zeigt plötzlich über 11 Knoten an und das Heckwasser reist ab, weil man ins Surfen gekommen ist, dann muss man mir das Grinsen schon aus dem Gesicht schlagen.

Nun wird jeder normale Mensch denken, wie langweilig es sein muss, wenn man nun noch nicht einmal mehr steuern muss. Erstaunlicherweise ist es das aber nicht. Nehmen wir mal den Tag, als wir von Klintholm auf der Insel Mön nach Bornholm gesegelt sind. Bei dem vorhergesagten Wind hatten wie 12-14 Stunden Fahrt kalkuliert. 14 sind es geworden. 14 Stunden nur dumm rumsitzen. Wenn ich 14 Stunden auf dem Sofa sitzen müsste, würde ich mir wahrscheinlich einen Strick nehmen. Nicht so beim Segeln. Ich kann nicht erklären, warum das so ist. Aber es ist einfach nicht langweilig. Und die Zeit vergeht auch, wie im Flug. So, wie ich stundenlang in ein Kaminfeuer gucken kann, kann ich auch stundenlang auf’s Wasser gucken.

Dann ist Segeln ja auch so eine Art Camping. Nur eben auf dem Wasser. Man sieht ständig neue Orte, lernt auch ständig neue Menschen kennen. So, wie bei uns z.B. in Kalmar oder auf den Erbsebinseln. Segler sind eine Gemeinschaft, die sich fast immer hilfsbereit und freundlich begegnen.

Noch ein wichtiger Aspekt des Segelns ist die Langsamkeit. Wenn wir unsere Höchstgeschwindigkeit von ca. 7,5 Knoten erreichen, sind wir so bummelig mit 14 km/h unterwegs. Dann ist, im Gegensatz zum Straßenverkehr quasi auch unendlich viel Platz auf dem Wasser. Wenn man draußen auf dem Meer einen Rundumblick macht, und niemand anderes ist zu sehen, dann könnte man sich die nächsten zwei Stunden auch auf’s Ohr hauen. Man kann einfach seinen Gedanken nachhängen oder auch ein Buch lesen. Das könnt Ihr ja mal beim Autofahren versuchen. Segeln entschleunigt total. Und das ist in der heutigen, schnelllebigen Zeit Erholung pur für Geist und Seele.

Und zu guter Letzt noch ein ganz merkwürdiges Phänomen. Segeln ist irgendwie ein eigener Kosmos. Sobald man die Leinen losgeworfen hat, ist man in dieser anderen Welt. Und dahin nimmt man nichts von Land mit. Außer Bier vielleicht J. Nee, Scherz beiseite. Es ist wirklich so. Alle Sorgen bleiben erstaunlicherweise an Land und man hat den Kopf komplett frei.

So, ich hoffe, ich konnte Euch die Faszination Segeln ein klein wenig vermitteln. Und wenn jetzt jemand denkt, vielleicht sollte er/sie es mal testen mit dem Segeln, kann ich Euch nur raten: TUT ES!!!